Liebe & Lust

Asexualität: ein Interview über das Leben ohne Lust auf Sex

DIENSTAG, 12.02.2019

Warum hat sie keine Lust auf Sex? Diese Frage stellen ihr nicht nur die anderen, die hat sich Carmen auch lange selbst gestellt. Vor wenigen Jahren hat sie selbst die Antwort gefunden: "Ich bin asexuell."

Die Definition von Asexualität und für Carmen: Die 35-jährige Archäologin fühlt sich zu anderen Menschen sexuell nicht hingezogen. Nach Schätzungen ist etwa ein Prozent der Menschen asexuell, obwohl sich die Daten nur schwer erheben lassen. Nach der Trennung von ihrem Mann – die beiden haben ein Kind - lebte sie in einer romantischen Beziehung mit einem ebenfalls asexuellen Mann. Kennengelernt hat sie ihn über das Forum "Aven", in dem sich asexuelle Menschen treffen und austauschen.

Wir haben mit Carmen über Sex und keinen Sex gesprochen – und dabei ein paar Vorurteile aus der Welt geräumt.

Wann ist Dir aufgefallen, dass Du keinen Sex haben möchtest?

Ich habe mich mit zwölf zum ersten Mal gefragt, ob ich hetero-, homo- oder bisexuell bin. Ich hatte schnell die Vermutung, dass ich wohl heterosexuell sein müsse, weil ich mir nur Jungs als beste feste Freunde vorstellen konnte und ich mit den wenigsten Mädchen warm wurde, auch wenn meine Vorstellung von einer Beziehung damals noch sehr kindlich und naiv war. Dass das keine sexuelle Anziehung war, wie andere sie empfinden, wusste ich da noch nicht.

Wie fühlt sich das in dem Alter an?

Ich konnte zwar sagen, wen ich ästhetisch schön fand und wen weniger, aber ich konnte nichts damit anfangen, wenn andere davon sprachen, wen sie "sexy" oder "heiß" finden. Es wurde deutlich, dass ich auf das Äußere von Menschen ganz anders reagierte als andere in meinem Alter. Ich hatte das Gefühl, in Gesprächen nicht mehr mitzukommen und außen vor zu sein. Es war, als würden plötzlich alle um mich herum eine fremde Sprache sprechen oder etwas verstehen, das ich nicht verstand. Den Begriff Asexualität habe ich erst mit Anfang 30 gefunden und dann verstanden, dass andere ganz anders empfinden als ich.

Wie hast Du den Begriff als Definition für Dich gefunden?

Ich habe mich zwischendurch immer wieder gefragt, warum ich keinen Spaß am Sex habe oder auch: Warum ich gar keine Lust darauf habe und mich um sämtliche sexuelle Interaktion drücken wollte. Bin ich verklemmt? Mag ich meinen Körper nicht? Das konnte ich alles verneinen. Auf den Begriff Asexualität bin ich durch die Recherche für mein Buch gestoßen, um herauszufinden, was mit meiner Hauptfigur „nicht stimmt“. Dabei habe ich auf das Aven-Forum gefunden – deren Admin hat mich auf die Absurdität meiner geschriebenen Sexszene hingewiesen.

Was war daran absurd?

In meinen Szenen entstand Erregung erst durch die mechanische Stimulierung, dabei entsteht sie bei anderen Menschen eigentlich schon vorher. Darüber habe ich nachgedacht und gemerkt: Ich habe das Ganze so beschrieben, wie ich es erlebe. Da hatte ich die Antwort auf die Frage einer Zwölfjährigen.

Du hast aber Beziehungen geführt und sogar geheiratet. Warum?

Ich habe früh gelernt, schon in der Familie, dass ich keine Liebe bekomme, wenn ich Nein sage, wenn ich nicht das mache, was andere von mir erwarten. Irgendwann kam der erste Mann, der eine Beziehung mit mir wollte und ich habe mich nicht getraut, ihn abzuweisen. Ich fand ihn nett und habe die Zeit genossen, aber mehr nicht.

Hat Sex in diesen Beziehungen trotzdem eine Rolle gespielt oder sogar Spaß gemacht?

Die Brandbreite ist beim Thema Asexualität so groß wie bei jeder anderen Orientierung auch. Ich habe mich für den Sex zum Beispiel konditioniert, um besser zu "funktionieren", damit die körperliche Erregung hält und der Partner das Gefühl hat, es würde mir Spaß machen. Mir ist im Laufe der Zeit aufgefallen, dass zum Beispiel bei bestimmten Filmszenen zwar nicht meine Psyche reagiert, ich werde also nicht scharf auf Sex, aber der Körper – das habe ich versucht auszubauen, damit der Sex mit meinen Partnern funktioniert. Man macht das für den Partner, zwingt sich damit aber zu etwas, das man eigentlich nicht möchte.

Sind alle Beziehungen und auch die Ehe wegen der Asexualität beendet worden?

Nicht direkt und immer unterschiedlich. In der einen Beziehung waren es Kommunikationsschwierigkeiten, die eine Belastung für die Beziehung waren, ein anderer Freund hatte sich in eine andere Frau verliebt. Den Begriff Asexualität habe ich erst während meiner Ehe gefunden – und hatte dann endlich einen legitimen Grund, keinen Sex zu haben. Irgendwann habe ich realisiert, dass mein Mann und ich unter anderem deshalb beide sehr unglücklich enden würden, wenn wir zusammenbleiben. Also habe ich mich trotz gemeinsamen Kindes nach sieben Jahren von ihm getrennt und bin ausgezogen. Wir sind weiterhin sehr gut befreundet. 

Wie hast Du Deinen letzten Partner, der auch asexuell ist, kennengelernt?

Wir haben uns über das Aven-Forum kennengelernt und festgestellt, dass wir uns mögen und auch durchaus mal kuscheln wollen. Bis vor Kurzem haben wir uns mehrmals in der Woche gesehen, gehen aber leider seit einigen Wochen getrennte Wege.

Was bedeutet das für eine Beziehung, wenn der Sex fehlt?

Der Unterschied zu einer Beziehung mit Sex ist gar nicht so groß, denke ich, außer, dass wir Nähe und Intimität sehr viel entspannter genießen konnten als in unseren früheren Beziehungen. Denn wenn ein Partner plötzlich etwas empfindet, das man selbst nicht kennt, also sexuelles Begehren und sexuelle Anziehung, kann das entfremdend wirken. Ist dieses entfremdende Element aber nicht da, fühle ich mich einem Menschen viel näher, weil die Unterschiede im Empfinden geringer sind.

Wurdest Du von Männern wegen deiner Asexualität anders behandelt?

Zum Glück nicht. Seit ich mir über den Begriff klar bin, habe ich keine Männer mehr kennengelernt, die nicht asexuell sind. Vorher bin ich aber auch nie ausgegangen, um Männer kennenzulernen. Ich selbst habe meinen Partnern oft gesagt, dass sie sich für den Sex eine zweite Frau suchen können, dass ich mir Spannenderes vorstellen kann als Sex oder dass es mich nervt, wenn sie mir sexuelle Avancen machen – das hat die meisten verletzt.

Ein Artikel auf Deinem Blog beschäftigt sich mit der häufig falschen Darstellung von Asexualität in den Medien. Worin siehst Du das Problem?

Liest man sich die meisten Presseartikel durch, trifft man häufig auf dieselben Geschichten und denselben Menschentyp: Asexuelle, die betonen, keine schlechten Erfahrungen gemacht zu haben, keine sexuellen Übergriffe erlebt zu haben und eine glückliche Kindheit hatten. Menschen, die möglichst extrovertiert sind, jung und gutaussehend. Leute, die nicht anfechtbar sind und die man hinterfragen kann, weil es keine Gründe gibt, mit denen sich ihre Asexualität erklären lassen könnte. Dabei gibt es für Asexualität so wenig Gründe wie für jede sexuelle Orientierung. Man wird nicht asexuell. Man ist es oder nicht.

Gibt es denn Asexuelle mit schlechten Erfahrungen oder sexuellem Missbrauch in der Vergangenheit?

Wie bei allen Menschen, gibt es auch in unserer Community introvertierte und extrovertierte Persönlichkeiten und es gibt genauso Asexuelle mit Erfahrungen von sexuellem Missbrauch. Sexueller Missbrauch führt nicht zu Asexualität, er kann aber asexuellen Menschen genauso widerfahren. Wer sich aber vorher sexuell zu anderen hingezogen gefühlt hat und entweder aufgrund schlechter Erfahrungen oder sexuellen Übergriffen aus Frust oder Angst sexuelle Situationen vermeidet und sich hinter dem Begriff Asexualität versteckt, macht sich meiner Meinung nach etwas vor.

Mit welchen Vorurteilen wird man heute noch konfrontiert, wenn man asexuell ist?

Die meisten Menschen kennen den Begriff nicht, das ist schon mal ein Problem. Das führt zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen, weil viele den Begriff mit anderen Dingen verwechseln. Da hört man immer wieder, man habe vielleicht einfach noch nicht den richtigen Partner gefunden oder noch nicht genug ausprobiert. Andere scheinen regelrecht Angst zu haben, dass man ihnen gleich ihre Sexualität schlecht reden möchte. Der schlimmste Rat bisher: Vielleicht solltest du es mal mit leichten Drogen probieren, um dich fallen lassen zu können.

 

Carmen schreibt über ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema auf ihrem Blog dasnixblix.wordpress.com.

Wir haben mit einer asexuellen Frau über Sex und keinen Sex gesprochen – und dabei ein paar Vorurteile aus der Welt geräumt.