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Kolumne Brainfuck: Polygamie - Liebe ohne Treue?

FREITAG, 30.01.2009

fem.com-Kolumnistin Anne Probst glaubt, dass man sich in einer offenen Beziehung viel mehr am Riemen reißen muss, als wenn man sich treu bleibt.

Grob gedacht ist die offene Beziehung ein Volltreffer. Ein Konzept, fast so gut, dass es unwirklich scheint. Tatsächlich - wenn beide Partner die Liebe ohne Treue wollen, bekommen sie alles: Sicherheit und Abenteuer, Liebe und Sex, Vertrauen und Freiheit. Es fühlt sich an wie ein ewiger Sommer am See, wie Eis am Stiel, das nicht schmilzt; wie ein Dauerschlussverkauf im Lieblingsladen, wo der Rabatt nur für einen selbst gilt - eben wie die Erfüllung eines Herzenswunsches mit der Extrawurst dazu.

Abgenutzte Erotik? Nein, danke.

Im direkten Vergleich sieht es so aus: Die offene Beziehung ist wie eine "richtige", "normale" Beziehung. Nur in einer Disziplin wirklich anders - dem Sex. Sicher, Sex mit dem Partner, den man liebt, ist immer toll. Aber jenseits dieses hausgemachten Idylls kann man auch zugeben, dass Erotik sich abnutzt und Sex in einer langen Beziehung irgendwie genauso spannend wird, wie Filme, in denen von Anfang an klar ist, wie sie ausgehen - Rosamunde Pilcher-Streifen.

Die offene Beziehung bekämpft dieses Pilcher-Symptom mit einer Dosis unverbindlichem Sex. Sie holt für eine Nacht den Rock 'n' Roll zurück ins Leben. Für einen kurzen Moment knistert es wieder zwischen unbekannten Körpern. So wie es sich am Anfang jeder Liebesbeziehung anfühlt.

Die Bestätigung woanders holen

Im romantischen Liebesland einer monogamen Beziehung dagegen gilt: Einreise nur mit Treuepass. Wer dagegen verstößt, wird prompt verbannt. Die offene Beziehung hat ein Hintertürchen: Wird es den Partnern zu eng und der Beischlaf zu routiniert, können sie sich rausschleichen und sich außerhalb der Beziehung Bestätigung holen. Mit ihrer Liebe, beteuern sie sich, habe das nichts zu tun.

An einem Vertrauensbruch kann die offenen Beziehung schon mal nicht zu Grunde gehen. Wo kein Vertrauen in die Treue des Partners ist, kann auch keines gebrochen werden. Bis hierhin ist alles noch so logisch. Vielleicht sind Menschen in einer offenen Beziehung realistischer. Sie erkennen das Verfallsdatum der Leidenschaft, schätzen aber auch den Wert einer festen Beziehung. Alles ist so klar - und kann doch nicht funktionieren.

Hier ist Disziplin gefragt

Denn wer in einer offene Beziehung leben will, braucht viel mehr Disziplin und Prinzipien als Partner, die auf Treue schwören. Letztere entscheiden einmal und fertig: du und kein(e) andere(r). Offene Beziehungen fordern Unmengen an Extra-Regeln. Die Partner müssen einen eigenen Beziehungsknigge schreiben.

Man darf mit einer anderen Person schlafen, aber nicht mehrmals. Man soll sich ja nicht verlieben oder gar eine Affäre anfangen. Denn dann würde man ja wirklich betrügen. Wird jedes Mal gebeichtet, wenn man sich in anderen Betten rumgetrieben hat? Oder vereinbart man ein Zeichen für die körperliche Untreue - etwa einen SMS-Code? Bringt man die neu erlernten Sex-Praktiken in die Beziehung ein?

Fragen über Fragen, die sich in einer monogamen Beziehung nicht stellen. Da sind die Regeln zum Beischlaf einfach: nur mit mir! Und ohnehin: Wird es erstmal richtig kompliziert, verliert auch die offenste Beziehung ihren Reiz. So scheitern wir nicht an der Untreue, sondern weil wir nicht wissen, wie wir mit ihr umgehen sollen.

Wie soll man Liebe und Sex trennen?

Die Deutschen haben das verstanden, wenn auch nicht in überwältigender Mehrheit. So besagt eine GfK-Studie im Auftrag der Zeitschrift "Baby und Familie", dass 58 Prozent von ihnen Treue in der Partnerschaft wichtiger finden als Sex. Vielleicht kommen die waghalsigen 42 Prozent ja drauf, wie man Liebe und Sex scharf voneinander trennt, wie man das einwandfreie Konzept einer offenen Beziehung dauerhaft in die Realität umsetzen kann.

Wahrscheinlich braucht eine "richtige" Beziehung aber das "ganz oder gar nicht", um auch wirklich innig zu werden. Jedem Ding seine Natur. Ein Eis, das nicht schmilzt, wäre ja auch kein Eis mehr.

DIE AUTORIN VON BRAINFUCK: Anne Probst ist ein mediales Multi-Talent. Sie arbeitet als Regisseurin, Fernsehkolumnistin und Autorin. Die studierte Philosophin hat lange in London gelebt und trägt nach eigenen Angaben ihr "Herz im Kopf". Klingt kompliziert? Ist es nicht: Annes journalistische Spezialgebiete sind Emo-Themen. "Eins plus eins ist nicht gleich zwei" sagt sie und geht dieser Ungleichung von Berufswegen auf den Grund. Wo sie ihr Wissen sammelt werden wir nie erfahren, dafür teilt sie ihre Erkenntnisse als Autorin mit fem.com.

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